Benjamin Graham

Benjamin Graham
Harishsama1998, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Für die Vorgehensweise von Warren Buffett bilden Benjamin Grahams Lehren die notwendige Grundlage. Benjamin Graham übte, neben Buffetts Vater, nach eigener Aussage den stärksten Einfluss auf ihn aus.

Benjamin Graham wurde am 9. Mai 1894 in London geboren. Seine Eltern zogen bereits ein Jahr später nach New York. Nach dem Studium der Fächer Philosophie, Mathematik, Englisch und Griechisch arbeitete Graham Anfangs in einer Maklerfirma. Später gründete er einen Investmentfonds und startete 1926 unter dem Namen Benjamin-Graham-Konsortium eine eigene Vermögensverwaltung. Zusätzlich führte er Aufträge als Gutachter in Bewertungsfragen aus. Vom großen Börsencrash im Jahre 1929 sowie der anschließenden Weltwirtschaftskrise wurde er voll erwischt. Nachdem sich Graham hiervon erholt hatte, brauchte er bis ins Jahr 1935, um die ihm entstandenen Verluste wieder auszugleichen.

Bereits in seiner Kindheit bekam Benjamin Graham durch den frühen Tod seines Vaters finanzielle Not zu spüren. Da er nun zum zweiten Mal in seinem Leben mit argen finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert wurde, hatte dies entscheidende Auswirkungen auf seinen weiteren Werdegang.

Bücher von Benjamin Graham

Noch während der Depression Anfang der 1930er Jahre begann Benjamin Graham zusammen mit David Dodd an den Arbeiten zu Security Analysis (deutsch: Wertpapieranalyse). Dieses Buch enthält sehr weitreichende Methoden zur Analyse einzelner Wertpapiere – Aktien und Anleihen – sowie ganzer Branchen und Märkte. Damit leistete Benjamin Graham Pionierarbeit, insbesondere auf dem Gebiet der fundamentalen Aktienanalyse. Die Erstausgabe erschien im Jahr 1934. „Wertpapieranalyse“ wurde insgesamt fünfmal überarbeitet. Erweiterte und an die Zeit angepasste Ausgaben wurden in den Jahren 1940, 1951, 1962, 1988 und 2008 veröffentlicht.

Für Valueanleger ist das Werk vergleichbar mit der Bibel und am heutigen Tag noch genauso aktuell wie zu der Zeit, als es geschrieben wurde. Warren Buffett selbst hat alle Ausgaben und findet darin immer wieder etwas Neues.

Als weitere Arbeit von Benjamin Graham ist der erstmals im Jahre 1949 veröffentliche Bestseller The Intelligent Investor (deutsch: Intelligent Investieren) zu nennen. Weitere Auflagen erschienen 1954, 1959 und 1973, letztere unter der Mitarbeit von Warren Buffett. „Intelligent Investieren“ enthält für jeden Anleger sehr wertvolle und unverzichtbare Hinweise über die wertorientierte Kapitalanlage. Unter anderem stellt Benjamin Graham darin die Notwendigkeit einer Sicherheitsmarge (Margin Of Safety) als zentrales Anlagekonzept dar. Außerdem arbeitete Graham während seines Lebens an einem Währungssystem, das auf einem Güterstandard basiert.

Mr. Market

Benjamin Graham stellte in „The Intelligent Investor“ auch den imaginären Investor Mr. Market vor. Mr. Market ist ein hypothetischer Anleger, der von Panik, Euphorie und Apathie getrieben wird und seine Anlage eher als Reaktion auf seine Stimmung als durch fundamentale Analysen angeht. Man kann Mr. Market auch als manisch-depressiv beschreiben, der von Anfällen von Optimismus zu Stimmungen von Pessimismus wechselt.

In dem Buch „Die Essays von Warren Buffett“ von Lawrence Cunningham wird die Geschichte von Mr. Market wie folgt erzählt:

Man solle sich vorstellen, dass die Marktpreise von einem bemerkenswert entgegenkommenden Burschen namens Mr. Market kommen. Er sei unser Partner in einem privaten Unternehmen. Mr. Market erscheint unfehlbar jeden Tag und nennt einen Preis (Kurs), zu dem er bereit ist, entweder Ihren Anteil zu kaufen oder Ihnen seinen Anteil zu verkaufen.

Obwohl das Unternehmen, das Ihnen beiden gehört, eine stabile wirtschaftliche Position haben mag, sind die von Mr. Market genannten Preise alles andere als stabil. Denn der arme Bursche hat, so traurig es auch ist, das sagen zu müssen, unheilbare emotionale Probleme. Manchmal fühlt er sich euphorisch und kann nur die günstigen Faktoren sehen, die Ihr Unternehmen beeinflussen.

Wenn er in dieser Stimmung ist, nennt er einen sehr hohen Kauf-Verkaufs-Preis, weil er befürchtet, dass Sie ihm seinen Anteil wegschnappen und ihn der bevorstehenden Gewinne berauben. Zu anderen Zeiten ist er deprimiert und kann nichts als schwere Zeiten auf das Unternehmen und die Welt zukommen sehen. In diesen Fällen wird er einen sehr niedrigen Preis nennen, weil er Angst hat, dass Sie Ihren Anteil auf ihn abladen.

Mr. Market hat noch eine andere reizende Eigenschaft: Es macht ihm nichts aus, ignoriert zu werden. Wenn Sie der Preis, den er nennt, heute nicht interessiert, wird er morgen mit einem neuen zurückkommen. Ob ein Geschäft zustande kommt, bestimmen ganz allein Sie. Unter diesen Bedingungen ist es um so besser für Sie, je mehr manisch-depressiver sein Verhalten ist.

Aber wie Aschenbrödel auf dem königlichen Ball müssen Sie eine Warnung beachten, oder alles wird sich in Luft auflösen: Mr. Market ist da, um Ihnen zu dienen, nicht um Sie zu führen oder anzuleiten. Sie werden seine Brieftasche nützlich finden, nicht seine Weisheit. Falls er eines Tages in einer besonders närrischen Stimmung erscheint, steht es Ihnen frei, ihn entweder zu ignorieren oder von ihm zu profitieren, aber es wird in einer Katastrophe enden, wenn Sie seinem Einfluss erliegen.

Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Sie Ihr Unternehmen besser verstehen und bewerten können als Mr. Market, dann sind Sie in diesem Spiel fehl am Platze. Wie sagt man doch so schön beim Poker: „Wenn du eine halbe Stunde im Spiel bist und nicht weißt, wer der Dumme ist, dann bist Du der Dumme.“

Das Heilbrunn Center für Graham & Dodd Investing

Im Jahre 1988 wurde an der Columbia Universität zu Ehren Benjamin Grahams ein Lehrstuhl, der sogenannte Graham/Dodd Chair eingerichtet. Graham unterrichtete an der Columbia Business School unter anderem auch Warren Buffett. Dieser war sein einziger Schüler, der jemals ein A+ von Benjamin Graham erhielt. 1951 legte Warren Buffett an der Columbia Universität das Master-Examen für Wirtschaft ab.

Nach seinem Ruhestand überprüfte Benjamin Graham seine in „Wertpapieranalyse“ aufgestellten Konzepte, indem er sie auf die Unternehmen des Aktienindex Dow Jones anwandt und über Jahrzehnte zurückrechnete. Warren Buffett sieht sich selbst als die Person, die die Richtigkeit der von Benjamin Graham aufgestellten Thesen in der Praxis bewiesen hat.

Benjamin Grahams Gang durchs Feuer

Im Jahr 1929 verfügte das Benjamin-Graham-Konsortium über Nettokapitalmittel in Höhe von 2,5 Millionen Dollar. Diese setzten sich aus einem größtenteils in Haussepositionen investierten Geldbetrag von 4,5 Millionen Dollar und Verbindlichkeiten in Höhe von 2 Millionen Dollar zusammen.

Nachdem der Aktienmarkt mit einem Dow-Jones-Stand von 381 Punkten am 3. September 1929 seinen Höhepunkt erreicht hatte, stürzten die Kurse in den darauffolgenden zweieinhalb Monaten auf etwa die Hälfte ihres zuvor erreichten Niveaus, um sich bis zum Jahresende wieder leicht zu erholen. Das Benjamin-Graham-Konsortium beendete das Jahr 1929 mit einem Verlust von 20%.

Die Erholung des Aktienmarktes setzte sich auch zu Beginn des Jahres 1930 fort. Bis Mitte April erreichte der Dow Jones einen Stand von über 294 Punkten und notierte damit um rund 48% über dem am 13. November 1929 erreichten Tiefpunkt von 198 Punkten. Der sich daran anschließende zweite Kurssturz, der sich mit nur kurzen Unterbrechungen bis zum Juni 1932 hinzog, führte den Dow Jones Index bis auf 42 Punkte hinab.

Für Benjamin Graham wurden die Auswirkungen durch die Verbindlichkeiten des Konsortiums noch verstärkt. Seine Verluste betrugen für die Jahre 1930, 1931 und 1932 erschütternde 50,5%, 16% und 3%. Der Gesamtverlust zwischen 1929 und 1932 lag bei 70%. Zu Jahresbeginn 1933 verfügte das Benjamin-Graham-Konsortium noch über Kapitalmittel in Höhe von 375.000 Dollar. Mehr waren von den 2,5 Millionen Dollar aus dem Jahr 1929 nicht übrig geblieben.

Innerhalb dieser schweren Zeit schrieb Benjamin Graham für das Forbes Magazine unter anderem einen Artikel mit dem Titel: „Ist die amerikanische Wirtschaft tot mehr wert als lebendig?“. Mit diesem wies er auf das Missverhältnis zwischen den Aktienkursen führender Unternehmen und ihrem viel höheren Umlaufvermögen oder Bargeldbestand hin.

Die Benjamin Graham Regeln

Nachdem Graham vor dem Börsencrash gemeinsam mit Bernard Baruch – deren Wege sich damals kreuzten – der Meinung war, dass der Aktienmarkt ein viel zu hohes Kursniveau erreicht habe, stellte er sich später selbst die Frage, wie sich sein Leben entwickelt hätte, wenn ihm die geschilderten Erfahrungen des Börsencrashs und der darauffolgenden Wirtschaftsdepression erspart geblieben wären. Sicher hätte er niemals die als Benjamin Graham Regeln bekannten Investitionsprinzipien aufgestellt:

  1. Die Einstandsrendite (Gewinn je Aktie : Aktienkurs) sollte mindestens doppelt so hoch sein, wie die Rendite 30-jähriger Staatsanleihen.
  2. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) sollte weniger als 40% des höchsten KGV der vergangenen 5 Jahre betragen.
  3. Die Dividendenrendite soll mindestens Zweidrittel der Anleihenrendite betragen.
  4. Der Aktienkurs soll nicht mehr als Zweidrittel des Buchwertes betragen.
  5. Die Marktkapitalisierung eines Unternehmens sollte nicht höher als Zweidrittel des Nettoumlaufvermögens sein.
  6. Das Fremdkapital sollte das Eigenkapital nicht übersteigen.
  7. Das Umlaufvermögen sollte mindestens doppelt so hoch sein, wie die kurzfristigen Verbindlichkeiten.
  8. Das Fremdkapital sollte geringer sein als das zweifache Nettoumlaufvermögen.
  9. Das durchschnittliche Gewinnwachstum sollte in den vergangenen 10 Jahren mindestens 7% betragen haben.
  10. In den letzten 10 Jahren sollte der Gewinn nicht mehr als zweimal rückläufig gewesen sein.

Aus dem heutigen Blickwinkel ist zu berücksichtigen, dass Benjamin Graham diese Regeln zu einer Zeit aufstellte, als es sich bei den meisten Gesellschaften noch um sehr kapitalintensive Industrieunternehmen gehandelt hat. Im modernen Informationszeitalter benötigen viele Gesellschaften zur Erzielung ihrer Gewinne nur ein sehr geringes Sachanlage- und Umlaufvermögen, sodass die vorliegenden Kriterien durch den Investor angepasst werden müssen.

Grahams „Net Net Aktien“

Eine Spezialität von Graham war seine Empfehlung des Kaufs von Unternehmen,  die an der Börse unter dem Wert ihres bilanzierten Nettoumlaufvermögens gehandelt werden. Bei dieser Vorgehensweise analysiert der Investor den Liquidationswert eines Unternehmens. Das Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) errechnet sich aus dem Umlaufvermögen abzüglich der kurzfristigen Verbindlichkeiten. Betriebsanlagen und sonstige Aktiva werden dabei praktisch mit Null bewertet.

Dabei ist es von großer Wichtigkeit zu verstehen, dass es Unterschiede zwischen einer ordentlichen Liquidation und der unter Zeitdruck erzwungenen Liquidation gibt. Da operative Verluste eines Unternehmens das Umlaufvermögen sehr schnell aufzehren können, schuf Benjamin Graham den Begriff des ‚Net Net Working Capital‘, bei dem vom Nettoumlaufvermögen zusätzlich noch alle langfristigen Verbindlichkeiten abgezogen werden. Laut Benjamin Graham eröffnet der Kauf einer ganzen Gruppe dieser völlig unterbewerteten Unternehmen dem geduldigen Investor maximale Gewinnaussichten bei geringstem Risiko.

Der heutige Anleger muss aber berücksichtigen, dass Benjamin Graham das Konzept der sogenannten ‚Net Net Aktien‘ zur Zeit der großen Weltwirtschaftskrise entwickelte und dieses in normalen Zeiten nicht anwendbar ist. Die Anwendung war in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts lediglich nach den großen Markteinbrüchen zu Beginn der 70er Jahre möglich und in einigen Fällen (beispielsweise in den Überresten des Neuen Markts) auch in den Jahren 2002/03.

Graham-Kurzformel

Zur Abschätzung des Inneren Wertes einer Aktie von Wachstumsunternehmen mit stabiler Ertragskraft hat Benjamin Graham folgende Formel, bekannt als Graham-Kurzformel, entwickelt:

Wert je Aktie = lfd. Gewinn je Aktie * (8,5+(2*jährlich zu erwartende Wachstumsrate)) * (4,4/akt. Rendite AAA-Unternehmensanleihen)

Als laufender Gewinn je Aktie sollte der für das aktuelle Geschäftsjahr prognostizierte Jahresüberschuss je Anteil eingesetzt werden. Dabei ist wichtig, eine sogenannte „normalisierte Gewinnziffer“ zu verwenden, die ggf. um außerordentliche Erträge und sonstige Einmaleffekte bereinigt wurde.

Der Wert 8,5 ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das Graham einer Aktie mit Nullwachstum zugestanden hat. Ein KGV von 8,5 entspricht einer Rendite von 12%. Wie Benjamin Graham auf diesen Wert kam, ist nirgends dokumentiert.

Für die erwartete Wachstumsrate sollte ein Schätzwert über die kommenden sieben bis zehn Jahre gewählt werden. Ist dieser nicht zu ermitteln, kann bei Aktien von erstklassigen Unternehmen mit einer Wachstumsrate von 5-6% gerechnet werden. Dabei handelt es sich um das durchschnittliche Wachstum des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Grahams Kurzformel berücksichtigte zum Zeitpunkt ihrer letzten Veröffentlichung im Jahre 1971 nicht das Zinsniveau am Anleihenmarkt. Da Benjamin Graham bei der Bewertung von Aktien immer den aktuellen Zinssatz erstklassiger Unternehmensanleihen (AAA-Rating) heranzog, die zu jener Zeit bei 4,4% lag, wurde die Formel durch den Zusatz „4,4 / aktuelle Rendite AAA-Unternehmensanleihen“ angepasst.

Im heutigen Zinsumfeld erscheint eine weitere Anpassung sinnvoll, sodass anstelle der Rendite erstklassiger Unternehmensanleihen mit Triple-A Rating Baa geratete Anleihen herangezogen werden können.

Das Baa-Rating stellt eine Anleihe oder Investition mit relativ geringem Risiko dar. Banken dürfen in Anleihen mit Baa-Rating investieren. Baa befindet sich jedoch im unteren Bereich der Ratings für Investment-Grade-Anleihen, weshalb risikoaverse Anleger bei Baa-Anlagen vorsichtig sein müssen.

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