Whitney Tilson zum US-Rettungspaket des Finanzsektors

In einem Artikel der Daily News setzt sich Whitney Tilson mit dem vorerst gescheiterten Plan auseinander, die Folgen der derzeitigen Finanzkrise mit einem staatlichen Rettungspaket in Höhe von 700 Mrd. $ abzumildern, nachdem die Not des Finanzsektors derart akut wurde, dass sich die US-Regierung zu einer groß angelegten Intervention gezwungen sah.

Valueinvesting.de, 01. Oktober 2008

Nach Tilsons Einschätzung scheiterte das Rettungspaket in der ersten Abstimmung an zwei Wahnvorstellungen, unter denen sowohl die amerikanischen Bürger als auch viele der von ihnen gewählten Vertreter im Kongress leiden.

Die erste Einbildung beruht nach Aussage von Whitney Tilson auf dem Glauben, dass eine staatliche Intervention nicht notwendig sei, da von dieser nur einige wenige Reiche an der Wall Street profitieren würden. Zwar räumt Tilson ein, dass auch einige bereits wohlhabende Menschen in den Genuss der Rettungsaktion kommen, der Plan der US-Regierung jedoch entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit der gesamten Volkswirtschaft habe. Seine Begründung lautet wie folgt:

Ohne das Rettungspaket könnten viele Unternehmen in Schwierigkeiten bei der Zahlung von Löhnen und Gehältern kommen und wären sicherlich nicht in der Lage, notwendige Investitionen in die Zukunft vorzunehmen. Darüber hinaus hält Tilson es für durchaus möglich, dass auch die Kreditkarten von Verbrauchern mit guter Bonität deaktiviert würden und benötigte Immobilienfinanzierungen nicht verfügbar wären. Außerdem weist Tilson auf weitere Risiken für den Steuerzahler hin.

Denn diese ergeben sich sowohl über das Rettungspaket als auch über die Bankeneinlagenversicherung des Bundes (FDIC), die die Geldanlagen für Millionen von Anlegern von Tausenden Banken versichert und folglich für mögliche große Verluste einstehen müsste, sofern es zu einer Flucht aus dem Bankensystem käme. Zwar hat Whitney Tilson keine Einwände, wenn es darum geht, dass sich der amerikanische Kongress einige zusätzliche Tage berät und die einzuleitenden Rechtsvorschriften vernünftig strukturiert, hält es aber für absolut notwendig, dass die „zu bezahlende Rechnung“ in naher Zukunft alle politischen Hürden nimmt. Andernfalls fürchtet Tilson „extrem gräßliche Konsequenzen“.

Bei der zweiten Einbildung handelt es sich um die weitverbreitete Überzeugung, dass die US-Regierung im Rahmen einer staatlichen Intervention für notleidende Hypotheken sowie hypothekarisch gesicherte Wertpapiere Preise bezahlt, die über den aktuellen Marktpreisen liegen und der Steuerzahler dadurch große Verluste erleidet. Whitney Tilson hält diese Denkweise für falsch und sieht vielmehr eine Situation, von der beide Seiten profitieren können.

Tilson weist zurecht darauf hin, dass die derzeitigen Marktpreise die Folge einer großen Zahl in Not geratener Verkäufer sind, denen nur eine kleine Anzahl von Investoren gegenübersteht, die die Courage haben, sich in einem Sektor zu engagieren, der seinen Käufern bislang nichts anderes als Schmerzen eingebracht hat. In Anbetracht dieses Ungleichgewichts und dem allgemein angsterfüllten Klima sind die abgestürzten Preise für Whitney Tilson nicht weiter verwunderlich.

Stattdessen weist er darauf hin, dass es sich bei der US-Regierung nicht um einen typischen Käufer handelt und sieht darin enorme Vorteile. Als erstes sind die Kapitalkosten des Staates sehr niedrig. So kann die US-Regierung derzeit, beispielsweise über 10-jährige Schatzanweisungen, Kapitalmittel für weniger als 4% Zinsen aufnehmen. Zweitens muss der Staat keine hohe Rendite auf das von ihm eingesetzte Kapital erwirtschaften, wie dies von privaten Investoren verlangt würde. Darüber hinaus kann der Staat eine vielfach größere Kapitalmenge aufnehmen, als dies einem privaten Investor möglich wäre.

Nach Einschätzung von Whitney Tilson erlauben diese Vorteile der US-Regierung Preise zu bezahlen, die über den aktuellen Marktkonditionen für notleidende Hypotheken und hypothekarisch gesicherten Wertpapieren liegen, um somit eine Stabilisierung der Finanzinstitutionen sowie des gesamten Finanzsystems zu bewirken und für den Steuerzahler dennoch einen guten Gewinn zu erzielen.

Sofern das aktuell noch diskutierte Rettungspaket in dieser Art und Weise gelingen soll, setzt Tilson jedoch eine mit Bedacht ausgeführte Umsetzung der Regierungspläne voraus.

Bankenrettung in der Praxis

Den Ausgangspunkt bilden die notleidenden Hypotheken und hypothekarisch gesicherten Wertpapiere, deren Marktpreise momentan unter starkem Druck stehen und die als Hauptverursacher der gegenwärtigen Krise zu bezeichnen sind. Whitney Tilson ruft ungeachtet ihres signifikanten Werteverfalls in Erinnerung, dass es sich um sogenannte Ersthypotheken handelt, die durch reale Immobilien gesichert sind. Somit ist diesen Hypotheken richtigerweise auch ein bestimmter Wert zuzuordnen, den ein umfassend informierte Anleger seinem Portfolio hinzufügen könnte. Für das folgende Beispiel geht Tilson von einem aufzukaufenden Hypothekenpaket aus, das in einigen Jahren einen Wert von 5 Mrd. $ aufweist.

Innerhalb eines Musterbeispiels betrachtet Whitney Tilson einen privaten Investmentfonds, der mindestens eine Rendite von 20% p.A. fordert, um das Risiko eines solch illiquiden und riskanten Hypothekenpaketes auf sich zu nehmen. Der Investmentfonds wäre wegen seiner Renditeerwartung im Moment lediglich zur Zahlung von 2 Mrd. $ bereit, sofern sich der den Hypotheken unterstellte Wert von 5 Mrd. $ in einem Zeitraum von fünf Jahren einstellt.

Nach Einschätzung Tilsons sind die tatsächlichen Umstände aber noch um einiges schlimmer, da es unter den heutigen Rahmenbedingungen fraglich erscheint, ob jeder Investor einen Betrag von 2 Mrd $ zu zahlen bereit wäre. Whitney Tilson spricht in diesem Zusammenhang die kürzlich von Washington Mutual durch JPMorgan übernommenen Hypotheken mit einem geschätzten Wert von 42,9 Mrd. $ an, die möglicherweise zusätzlich und zu Dumpingpreisen auf den Markt kommen könnten (die Washington Mutual Hypotheken stellen nur einen kleinen Teil der notleidenden Hypotheken dar).

Weshalb sollte also heute Jemand einen Betrag von 2 Mrd. $ bezahlen, wenn die Preise in einem Monat vielleicht bei 1,5 Mrd. $ und einen weiteren Monat später bei nur noch 1 Mrd. $ liegen? Aus diesem Grund würde ein Verkauf der Hypotheken in dem zur Zeit illiquiden und von Panik ergriffenen Marktumfeld zu einer Preisfestsetzung führen, die schließlich weit unter den genannten 2 Mrd. $ anzusiedeln wäre.

In Tilsons zweitem Musterbeispiel tritt die US-Regierung als Käufer der notleidenden Hypotheken auf. Aufgrund ihrer niedrigen Kapitalkosten und dem Umstand, dass die Regierung nicht auf das Erzielen außerordentlich großer Gewinne angewiesen ist, beträgt die angenommene Renditeerwartung in diesem Fall nur 8% p.A.. Um diese 8% Rendite zu erwirtschaften, kann die Regierung für das gleiche Paket notleidender Hypotheken einen Betrag von 3,4 Mrd. $ bezahlen, also mindestens 70% mehr als ein privater Käufer und vielleicht doppelt so viel wie der aktuelle Marktpreis. Darüber hinaus muss sich die US-Regierung wegen ihrer Zugriffsmöglichkeiten auf langfristig verfügbares Kapital und ihrer „extrem tiefen Taschen“ weniger Sorgen um zusätzlich auf den Markt kommende Hypotheken oder um die Illiquidität ihres Portfolios machen.

Im Ergebnis ermöglicht das geplante Rettungspaket der US-Regierung einen ordentlichen Gewinn von 28 Mrd. $ jährlich – unter der Annahme von 4% Kapitalkosten und 8% jährlicher Rendite auf 700 Mrd $. Die Banken wären in der Lage, ihre Vermögenswerte zu weit höheren Preisen zu verkaufen, als dies unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen möglich ist, erhielten damit freie Kapitalmittel für die Ausgabe neuer Hypotheken und könnten letztlich sich selbst und das Finanzsystem wieder stabilisieren.

(Anmerkung: Whitney Tilson geschäftsführender Gesellschafter des Hedge Fonds T2 Partners LLC und des Publikumsfonds Tilson Focus Fund. Die von Tilson gemanagten Fonds haben die Aktien von Washington Mutual leerverkauft.)