Aktien: Halten oder verkaufen?

Der Portfoliomanager Bill Nygren blickt auf ein schwieriges Jahr zurück, auch wenn die 9-Monats-Performance des von ihm gemanagten Oakmark Fund mit -12,5% im derzeitigen Marktumfeld als gutes Ergebnis zu bezeichnen ist.

Valueinvesting.de, 15. Oktober 2008

Weitere von Oakmark aufgelegte Fonds konnten sich von der Entwicklung des Aktienmarkts weniger positiv abheben und verzeichneten im gleichen Zeitraum einen Wertverlust von bis zu 25%. Im Vergleich dazu büßte der S&P 500 seit Jahresbeginn rund 20% (per Ende September) seines Wertes ein.

Insbesondere die Insolvenz seines größten Investments Washington Mutual hat Nygren deutliche Verluste beschert, auch wenn er alle Washington Mutual Aktien kurz vor der Pleite der Gesellschaft verkauft hat. In seinem aktuellen Brief an die Anteilseigner von Oakmark Funds hielt es Nygren daher für angebracht, einige grundlegende Fragen zu beantworten, die momentan von den Oakmark Anteilseignern – und damit auch von den Aktionären im Allgemeinen – gestellt werden.

Diese Antworten entstanden in den letzten Septembertagen, nachdem der Dow Jones Index den größten Tagesverlust (in Punkten) seiner Geschichte erlebte, das US-Repräsentantenhaus in seiner ersten Abstimmung den Rettungsplan der Regierung niederstimmte und die Öffentlichkeit im Laufe eines Quartals den Untergang so großer und bekannter Adressen wie Fannie Mae und Freddie Mac (Hypothekenfinanzierer), Lehman Brothers (Investmentbank), American International Group (Versicherung) oder Washington Mutual und Wachovia (Banken) beobachten konnte. Alleine die genannten Aktiengesellschaften kamen noch vor einem Jahr auf einen gemeinsamen Börsenwert von über 400 Mrd. $. – Doch nun zu den Fragen.

Soll ich Aktien jetzt verkaufen?

Diese Frage wird bedauerlicherweise immer dann gestellt, wenn der Aktienmarkt bereits einen größeren Rückgang erlebt hat. Zwar ist die Risikotoleranz der Menschen unterschiedlich, Bill Nygren rät aber denjenigen, die aufgrund ihrer Aktienengagements in der Nacht nicht schlafen können, genau so viele Aktien zu verkaufen, bis die innere Ruhe wieder hergestellt ist und gibt somit der Gesundheit den Vorrang. Auch wenn das Geld, das derzeit in Aktien investiert ist, in absehbarer Zeit benötigt wird, rät Nygren zum Verkauf und weist noch einmal darauf hin, dass das an der Börse eingesetzte Kapital immer auf Geldmittel begrenzt sein sollte, die in einem Zeitraum von mindestens fünf Jahren nicht anderweitig benötigt werden.

Menschen, die keine Probleme mit dem Schlafen haben und nicht gezwungen sind, ihre Aktien in der nahen Zukunft zu veräußern, sollten nach der Überzeugung von Bill Nygren keine Aktien verkaufen. Tatsächlich ist Nygren der Meinung, dass der derzeitige Aktienmarkt ein sehr interessantes Umfeld für die Neuinvestition darstellt. Für die meisten Menschen sollte nach einem starken Marktrückgang die richtige Fragestellung eher lauten: „Soll ich mehr investieren?“ Nygren ist der Ansicht, dass augenblicklich ein guter Zeitpunkt für „vorsichtig optimistische“ Käufer ist. Der Zusatz „vorsichtig“ wurde von ihm gewählt, da es bei der derzeitigen Schwankungsbreite des Aktienmarktes ratsam erscheint, noch einige Kapitalmittel zurückzuhalten und erst dann einzusetzen, wenn die Kurse weiter fallen. Abschließend weist Bill Nygren darauf hin, dass die meisten Aktienfonds voll investiert sind, sodass Anleger in der Regel frisches Kapital zuschießen müssen, wenn sie ihr Engagement im Aktienmarkt erhöhen möchten.

Warum sind Aktien derzeit billig?

Wie alle Value Investoren ist auch Bill Nygren der Auffassung, dass das alleinige Kriterium, ob eine Aktie billig ist oder nicht, auf der Differenz zwischen ihrem geschätzten langfristigen Wert und ihrem aktuellen Aktienkurs beruht. Wenn der Aktienkurs deutlich unter dem geschätzten Wert des der Aktie zugrundeliegenden Unternehmens liegt, ist die Aktie billig.

Nygren führt aus, dass er zu Beginn des Jahres davon ausgegangen ist, dass die in seinen Portfolios gehaltenen Aktien preislich deutlich unter den wirtschaftlichen Werten der Unternehmen liegen und damit langfristige Renditen ermöglichen, die merklich über den Erträgen aus festverzinslichen Wertpapieren liegen. Die meisten Gesellschaften, in die er investiert hat – mit Ausnahme der Finanzdienstleister – haben ihre Unternehmenswerte in 2008 zwar langsamer als erwartet gesteigert, aber sie haben sie gesteigert. Folglich ist, bei gleichzeitig sinkenden Marktpreisen, die Differenz zwischen geschätztem langfristigen Wert und aktuellem Aktienkurs gestiegen. Aus diesem Grund ist Bill Nygren der Meinung, dass die von ihm gehaltenen Aktien – sowie Aktien im Allgemeinen – an Attraktivität gewonnen haben.

Wenn Aktien bereits im letzten Jahr billig waren – was ist schlief gelaufen?

Bill Nygren erklärt, dass Finanzaktien eine Ausnahme zu dem vorher gesagten bilden und diese Aktien ihren tatsächlichen Wert im letzten Jahr nicht gesteigert haben. Die Verluste aus Hypotheken haben Nygren´s Annahmen bei weitem übertroffen und führten zu einer erheblichen Reduktion der von ihm geschätzten fairen Unternehmenswerte. Nichtsdestotrotz haben die Aktienkurse dieser Gesellschaften seiner Ansicht nach inzwischen weit mehr an Wert verloren, als die zugrundeliegenden Unternehmenswerte. Daher ist auch bei Finanzaktien die Differenz zwischen geschätztem langfristigen Wert und aktuellem Aktienkurs gestiegen. Zudem sieht Nygren für die Überlebenden der Branche gute Chancen, um bei künftigen Übernahmen wahre Schnäppchen zu erzielen.

Nach Aussage von Bill Nygren wurden Bear Stearns und Washington Mutual von JPMorgan für „fast nichts“ aufgekauft und die Citigroup hat bereits das gleiche mit der Wachovia Bank angekündigt. Alle diese Gesellschaften notieren an der Börse zu niedrigen Kurs-Gewinn- und Kurs-Buchwert-Verhältnissen, verfügen über günstige Übernahmemöglichkeiten und werden künftig einem geringeren Wettbewerb, als in der Vergangenheit, ausgesetzt sein. Nygren ist daher der Meinung, dass sich die Gewinner der gegenwärtigen Finanzkrise zu sehr starken Unternehmen entwickeln werden.

Somit war der Fall des Aktienmarkts unangenehm und hat zu einer raschen Veränderung der Investmentlandschaft geführt. Momentan ist es auch für Nygren schwer vorherzusehen, was morgen oder in der kommenden Woche passieren wird. Für langfristig orientierte Anleger – und Nygren denkt dabei an einen Zeitraum von ungefähr fünf Jahren – sollte es nach seiner Vorstellung aber ein Leichtes sein, sich über die aktuell bietenden Gelegenheiten am Aktienmarkt freuen zu können.