George Soros: Die schlimmste Marktkrise seit 60 Jahren

In einem Artikel der Financial Times vertritt George Soros die Auffassung, dass die gegenwärtige Finanzkrise, welche durch die Blase am US-Immobilienmarkt verursachte wurde, in einigen Punkten anderen Krisen ähnelt, die sich seit dem Ende des 2. Weltkriegs mit Unterbrechungen zwischen vier und zehn Jahren immer wieder ereignet haben.

Valueinvesting.de, 26. Januar 2008

Dennoch existiert für Soros bei der gegenwärtigen Krise ein großer Unterschied. Diese markiert nach seiner Ansicht nämlich das Ende einer ganzen Ära – der Kreditexpansion – die sich bislang auf den US-Dollar als Weltreservewährung gestützt hat.

Während die periodischen Krisen der Vergangenheit Teil einer größeren Boom-Bust-Sequenz waren, gipfelt die gegenwärtige Krise nach Soros‘ Einschätzung in einer Art Superboom, der insgesamt mehr als 60 Jahre andauerte.

Um George Soros zu verstehen, ist es notwendig, auf die von ihm entwickelte Theorie von Reflexivität und den Begriff Boom-Bust-Sequenz kurz einzugehen:

Soros Theorie gründet unter anderem auf der Idee, dass es sich bei den am Finanzmarkt bezahlten Preisen für Vermögensgegenstände (Aktien, u.a.) nicht einfach um passive Reflexionen ihrer Werte handelt. Stattdessen würden die Marktteilnehmer eine aktive Rolle bei der Bewertung von Vermögensgegenständen spielen. Diese beidseitige Rückkopplung zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit nennt Soros „Reflexivität“.

Damit Reflexivität spürbar wird, muss sie sich aber zunächst in einem Prozess der Selbstverstärkung aufbauen. Geschieht dies über einen ausreichend langen Zeitraum, klaffen Wirklichkeit und Wahrnehmung zunehmend auseinander und die Ereignisse geraten häufig außer Kontrolle. Diese Situation ist auf den Finanzmärkten typischerweise in Phasen eines steilen Aufschwungs mit anschließendem ausgeprägtem Abschwung vorzufinden. Diese Auf- und Abschwünge bezeichnet Soros als „Boom-Bust-Sequenzen“.

An solchen Prozessen, die sich mit zunehmender Zeit selbst verstärken – und sich irgendwann umkehren – war George Soros Zeit seines Lebens leidenschaftlich interessiert.

Der Superboom der vergangenen 60 Jahre beruhte nach Soros Aussage auf einer Kreditexpansion von nie dagewesenem Ausmaß. Und jedes mal, wenn diese Kreditexpansion in Probleme geriet, intervenierten die Finanzbehörden und stimulierten die Volkswirtschaft mit zusätzlicher Liquidität sowie auf anderen Wegen. Dadurch wurde ein System asymmetrischer Anreize geschaffen, das alle Beteiligten zu einer immer größer werdenden Kreditexpansion anspornte.

Dieses System geriet nach Ansicht von George Soros aus den Fugen, nachdem die neuen Finanzprodukte so kompliziert wurden, dass die Behörden ihre Risiken nicht mehr länger kalkulieren konnten und daher begannen, sich auf die Risikomanagementsysteme der Banken zu verlassen. In einer ähnlichen Weise verließen sich die Ratingagenturen auf Informationen, die die Initiatoren dieser synthetischen Finanzprodukte selbst lancierten.

Nach Soros‘ Aussage ging so ziemlich alles schief, was schief gehen konnte. Der letzte Schlag wurde dem Finanzsystem nach seiner Ansicht versetzt, als der Markt für Interbanken-Kredite unterbrochen wurde, da die Kreditinstitute mittlerweile mit ihren Ressourcen haushalten mussten und ihren Gegenparteien nicht mehr trauen konnten. Nachdem dies geschah, mussten die Notenbanken eine beispiellose Menge an Geld und Krediten auf eine noch nie da gewesene Palette von Wertpapieren – und an mehr Institutionen als je zuvor – injizieren.

Dies macht nach Einschätzung von George Soros die derzeitige Finanzkrise schwerer, als alle Krisen seit dem zweiten Weltkrieg.

Nach der Ära der Kreditexpansion muss nun eine Periode der Verkürzung folgen, da einige der neuen Kreditinstrumente unzuverlässig und damit nicht aufrecht zu erhalten sind. Dazu kommt, dass das Ausland nicht mehr in dem Umfang von früher gewillt ist, weitere Dollarreserven aufzubauen.

Soros sieht auch die US-Notenbank (FED) nicht mehr in der Lage, die Ökonomie wie früher zu stimulieren. Denn in Anbetracht hoher Öl-, Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise, sowie einer etwas schnelleren Aufwertung des chinesischen Renminbi, muss sich die FED sogar sorgen um das Aufkommen von Inflation machen.

Sofern die US-Notenbank die Leitzinsen unter ein bestimmtes Niveau senkt, kommt nach Ansicht Soros‘ der Dollar erneut unter Druck und die Zinsen auf langfristige Staatsanleihen würden steigen. Wann dieses Niveau erreicht ist, kann aber auch George Soros nicht sagen. Wenn es aber erreicht wird, ist die Möglichkeit der FED, die Konjunktur zu stimulieren, am Ende.

Daher hält Soros eine Rezession in den entwickelten Industrieländern für mehr oder weniger unausweichlich. Da China, Indien und einige andere Öl produzierende Länder aber einen starken Gegentrend bilden, wird nach der Einschätzung von George Soros die gegenwärtige Finanzkrise nicht zu einer weltweiten Rezession führen, sondern eher zu einer radikalen Neuordnung der Weltwirtschaft, verbunden mit einem relativen Niedergang der Vereinigten Staaten sowie dem Aufstieg Chinas und anderer Schwellenländer.

Zudem sieht Soros die Gefahr, dass die daraus resultierenden politischen Spannungen, einschließlich dem Protektionismus der USA, zu einer Beeinträchtigung der globalen Wirtschaft führen und die Welt in eine Rezession oder Schlimmeres stürzen.