Kommentare 0

Howard Marks: Weitere Gedanken zum Gezeitenwechsel

In seinem aktuellen Memo „Further Thoughts on Sea Change“ liefert Howard Marks eine Fortsetzung zu seinem bereits im Dezember 2022 veröffentlichten Memo „Sea Change“.

Er argumentiert, dass die im ursprünglichen Memo hervorgehobenen Trends zusammengenommen eine tiefgreifende Veränderung des Anlageumfelds darstellen, die eine erhebliche Kapitalumschichtung erforderlich macht.

Howard Marks Memo
Bildquelle: oaktreecapital.com

Die Hauptbotschaft aus Howard Marks neustem Memo ist, dass es sich bei den Umbrüchen, die er in Sea Change beschrieben hat, nicht nur um übliche zyklische Schwankungen handelt. Stattdessen stellen diese Umbrüche zusammengenommen eine tiefgreifende Veränderung des Investitionsumfeldes dar.

Die grundlegenden in Sea Change hervorgebrachten Argumente lauten wie folgt:

  • Ende 2008 senkte die US-Notenbank den Leitzins zum ersten Mal auf Null, um die Wirtschaft vor den Auswirkungen der globalen Finanzkrise zu retten.
  • Da dies nicht zu einem Anstieg der Inflation von unter 2% führte, fühlte sich die Fed in der Lage, die akkommodierende Politik (niedrige Zinssätze und quantitative Lockerung) für die gesamten nächsten 13 Jahre im Wesentlichen beizubehalten.
  • Infolgedessen erlebten wir den längsten Wirtschaftsaufschwung aller Zeiten (mehr als zehn Jahre) und „leichte Zeiten“ für Unternehmen, die Gewinne erzielen und Finanzierungen sichern wollten. Selbst Unternehmen, die Verluste machten, hatten kaum Probleme an die Börse zu gehen, Kredite zu erhalten oder Zahlungsausfälle und Konkurse zu vermeiden.
  • Die niedrigen Zinssätze, die in den Jahren 2009 bis 2021 vorherrschten, waren eine gute Zeit für Eigentümer von Vermögenswerten (niedrigere Abzinsungssätze machen zukünftige Cashflows wertvoller) und für Kreditnehmer. Dies wiederum machte die Eigentümer von Vermögenswerten selbstzufrieden und potenzielle Käufer eifrig. Und FOMO (Fear of missing out) wurde für die meisten Menschen zur Hauptsorge. Dementsprechend schwierig war die Zeit für Schnäppchenjäger und Kreditgeber.
  • Die massiven Entlastungsmaßnahmen im Rahmen von Covid-19, in Verbindung mit Engpässen in der Versorgungskette, führten dazu, dass zu viel Geld für zu wenig Waren ausgegeben wurde, was die klassische Voraussetzung für eine steigende Inflation ist.
  • Die höhere Inflation, die 2021 auftrat, hielt bis 2022 an und zwang die Fed, ihre akkommodierende Haltung aufzugeben. Daher erhöhte die Fed die Zinssätze drastisch (ihr schnellster Straffungszyklus seit vier Jahrzehnten) und beendete die Quantitative Lockerung.
  • Aus einer Reihe von Gründen ist es unwahrscheinlich, dass extrem niedrige oder sinkende Zinssätze in den kommenden zehn Jahren die Norm sein werden.
  • Für Unternehmensgewinne, für die Wertsteigerung von Vermögenswerten, für die Kreditaufnahme und für die Vermeidung von Zahlungsausfällen werden die Zeiten also sehr wahrscheinlich härter werden.
  • Unterm Strich: Wenn es sich wirklich um einen Umbruch handelt, was bedeutet, dass sich das Anlageumfeld grundlegend verändert hat, sollten Anleger nicht davon ausgehen, dass die Strategien, die Ihnen seit 2009 am besten gedient haben, dies auch in den kommenden Jahren tun werden.

Nach dieser Zusammenfassung konkretisiert Howard Marks in seinem aktuellen Memo die Fakten und gibt einige zusätzliche Erkenntnisse weiter.

Eine bedeutsame Entwicklung

Seiner Meinung nach war der Rückgang der Zinssätze um 2.000 Basispunkte zwischen 1980 und 2020 das wichtigste Ereignis in der Finanzwelt der letzten Jahrzehnte. Dabei war dieser Rückgang wahrscheinlich für den Löwenanteil der in diesem Zeitraum erzielten Anlagegewinne verantwortlich.

Marks führt weiter aus, dass relativ wenige der heutigen Anleger alt genug sind, um sich an eine Zeit zu erinnern, in der sich die Zinsen anders verhielten. Alle, die seit 1980 in das Geschäft eingestiegen sind – also die große Mehrheit der heutigen Anleger – haben mit relativ wenigen Ausnahmen nur sinkende oder extrem niedrige Zinssätze (oder beides) erlebt.

Die Relevanz der Geschichte

In den 13 Jahren von Anfang 2009 bis Ende 2021 gab es zwei Rettungen vor Finanzkrisen, ein allgemein günstiges makroökonomisches Umfeld, eine aggressiv akkommodierende Zentralbankpolitik, fehlende Inflationssorgen, extrem niedrige und sinkende Zinssätze und allgemein ununterbrochene Anlagegewinne.

Howard Marks stellt die Frage, ob die Anleger eine Fortsetzung dieser Trends erwarten sollten? Insbesondere fällt es ihm schwer zu glauben, dass die Fed keinen Fehler begangen hat, als sie so lange an den extrem niedrigen Zinssätzen festhielt. Denn bei Festsetzung der Zinssätze auf Null handelte es sich seiner Meinung nach um eine Notfallmaßnahme und keinen Dauernotstand.

Darüber hinaus war im Zeitraum 2017/2018, als der Leitzins der US-Notenbank bei rund 1% lag, vielen klar geworden, dass es für die Fed keinen Spielraum gab, die Zinsen bei Bedarf zu senken, um die Wirtschaft während einer Rezession anzukurbeln.

Und als die Fed versuchte die Zinsen anzuheben, um diesen Spielraum zu schaffen, stieß sie auf Widerstand seitens der Anleger (siehe Aktienmarktkorrektur im vierten Quartal 2018). Marks betont, dass er kaum glauben kann, dass die Fed eine solche Beschränkung ihres Instrumentariums wieder einführen möchte.

Eines seiner wiederkehrenden Themen ist, dass es während des Fed-Aktivismus in den letzten zwei Jahrzehnten keinen freien Markt für Geld gab. Laut seiner Einschätzung wurde dadurch das Verhalten der Wirtschafts- und Marktteilnehmer verzerrt.

Dies führte dazu, dass Dinge gebaut wurden, die sonst nicht gebaut worden wären, dass Investitionen getätigt wurden, die sonst nicht getätigt worden wären, und dass Risiken getragen werden mussten, die sonst nicht in Kauf genommen worden wären.

Sollten die sinkenden und/oder extrem niedrigen Zinsen der Zeit des lockeren Geldes in den kommenden Jahren nicht die Regel sein, sind zahlreiche Konsequenzen wahrscheinlich:

  • das Wirtschaftswachstum könnte langsamer ausfallen
  • die Gewinnmargen könnten schrumpfen
  • die Ausfallraten könnten steigen
  • die Wertsteigerung von Vermögenswerten ist möglicherweise nicht so zuverlässig
  • die Kreditkosten werden nicht kontinuierlich sinken (obwohl die zur Inflationsbekämpfung angehobenen Zinssätze wahrscheinlich etwas zurückgehen dürften, sobald die Inflation nachlässt)
  • die Anlegerpsychologie ist möglicherweise nicht mehr durchweg positiv und
  • für Unternehmen ist es möglicherweise nicht mehr so einfach, eine Finanzierung zu erhalten

Mit anderen Worten: Nach einer langen Zeit, in der in der Welt des Investierens alles ungewöhnlich einfach war, dürfte bald etwas Normalität eintreten.

Howard Marks bittet zu beachten, dass er nicht sagt, dass die Zinssätze, die in den letzten etwa 40 Jahren um 2.000 Basispunkte gesunken sind, wieder auf das Niveau der 1980er Jahre steigen werden.

Tatsächlich sieht er keinen Grund, warum die kurzfristigen Zinssätze in fünf Jahren deutlich höher sein sollten, als heute. Dennoch denkt er, dass die einfachen Zeiten (und das leichte Geld) weitgehend vorbei sind. Er veranschaulicht dies an folgendem Beispiel:

Vor fünf Jahren ging ein Investor zur Bank, um einen Kredit aufzunehmen, und der Banker sagte: „Wir geben Ihnen 800 Millionen Dollar zu 5%.“ Jetzt muss das Darlehen refinanziert werden, und der Bankier sagt: „Wir geben Ihnen 500 Millionen Dollar zu 8%.“

Das bedeutet, dass die Kapitalkosten des Investors gestiegen sind, seine Nettorendite gesunken (oder negativ) ist und er ein Loch von 300 Millionen Dollar zu stopfen hat.

Welche Strategien funktionierten am besten?

Für Marks liegt es auf der Hand, dass, wenn bestimmte Strategien in einem Zeitraum mit bestimmten Merkmalen am besten abgeschnitten haben, ein stark verändertes Umfeld eine dramatisch veränderte Liste von Gewinnern hervorbringen muss.

Die 40 Jahre niedriger und sinkender Zinssätze waren für Vermögensbesitzer von großem Vorteil. Sinkende Diskontsätze und die damit verbundene geringere Wettbewerbsfähigkeit der Anleiherenditen führten zu erheblichen Vermögenszuwächsen.

Zudem senkten sinkende Zinsen die Kapitalkosten für Kreditnehmer. Dadurch wurde jede Kreditaufnahme automatisch erfolgreicher, als ursprünglich geplant.

Das kombinierte Ergebnis der zuvor genannten Punkte war für Anleger, die Vermögenswerte mit geliehenem Geld kauften, laut Einschätzung von Howard Marks eine doppelte Goldgrube. Er findet es sehr bemerkenswert, dass fast die gesamte Geschichte der gehebelten Anlagestrategien in einer Periode sinkender und/oder extrem niedriger Zinssätze geschrieben wurde.

Gleichzeitig machten sinkende Zinssätze die Kreditvergabe, oder den Kauf von Schuldtiteln, weniger lohnend.

Wird also der Besitz von Vermögenswerten in den kommenden Jahren genauso rentabel sein, wie im Zeitraum 2009-2021? Wird die Hebelwirkung in gleichem Maße zu den Renditen beitragen, wenn die Zinssätze im Laufe der Zeit nicht sinken, oder wenn die Kreditkosten nicht wesentlich unter der erwarteten Rendite für die erworbenen Vermögensgegenstände liegen?

Unabhängig von den Vorteilen, die der Besitz von Vermögenswerten und fremdfinanzierte Investitionen mit sich bringen, sollte man nach Einschätzung von Howard Marks davon ausgehen, dass die Vorteile in den kommenden Jahren geringer ausfallen werden.

Stattdessen sollten Anleihen, Kredite oder festverzinsliche Anlagen entsprechend besser dastehen. Beispielsweise lagen die Renditen von Hochzinsanleihen Anfang 2022 im Bereich von nur 4%. Heute liegt ihre Rendite bei über 8%, was bedeutet, dass diese Anleihen das Potenzial haben, einen großen Beitrag für das Gesamtergebnis eines Portfolios zu leisten.

Vermögensallokation heute

Der Standard & Poor’s 500 Index hat fast ein Jahrhundert lang eine Rendite von knapp über 10% pro Jahr erzielt (10% pro Jahr über 100 Jahre hinweg machen aus 1 $ fast 14.000 $). Laut Howard Marks bietet der ICE BofA U.S. High Yield Constrained Index heutzutage eine Rendite von über 8,5%, der CS Leveraged Loan Index etwa 10,0% und private Darlehen bieten noch deutlich mehr.

Mit anderen Worten: Die erwarteten Vorsteuerrenditen von Schuldtiteln ohne Investment-Grade-Rating nähern sich den historischen Renditen von Aktien an, oder übertreffen sie sogar. Und was für Howard Marks noch wichtiger ist; es handelt sich dabei um vertraglich garantierte Renditen.

Denn bei Aktien hängt der Großteil ihrer Rendite kurz- oder mittelfristig vom Verhalten des Marktes ab. Wenn Mr. Market gute Laune hat, wie Benjamin Graham es ausdrückte, wird ihre Rendite profitieren und umgekehrt.

Bei Kreditinstrumenten hingegen ergibt sich die Rendite überwiegend aus dem Vertrag zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer. Der Kreditinvestor ist nicht auf die Rendite des Marktes angewiesen. Der Unterschied zwischen den Renditequellen von Aktien und Anleihen ist tiefgreifend, was viele Anleger vielleicht intellektuell verstehen, aber nicht vollständig bewerten können.

Nach Aussage von Howard Marks ist es Jahre her, dass die voraussichtlichen Renditen von Krediten mit denen von Aktien konkurrenzfähig waren. Jetzt ist es wieder so. Deshalb sollten sich Anleger die Frage stellen, welche Argumente dafürsprechen, heute keinen wesentlichen Teil ihres Kapitals in Kredite zu investieren?

Wenn die von ihm beschriebenen Entwicklungen wirklich eine grundlegende, bedeutsame und potenziell langlebige Veränderung darstellen, sollten Kreditinstrumente wahrscheinlich einen erheblichen Teil der Portfolios ausmachen, vielleicht sogar die Mehrheit!

In der Folge diskutiert Howard Marks in seinem Memo noch die Nachteile von Investitionen in Kreditinstrumente, wie beispielsweise der Zahlungsverzug/-ausfall einzelner Kreditnehmer, das eingeschränkte Wertsteigerungspotenzial, Preisschwankungen bei sich verändernden Zinssätzen sowie den Unterschied zwischen Nominal- und Realrenditen.

Schließlich könnte die grundlegende Veränderung weniger nachhaltig sein als erwartet, was bedeutet, dass die Fed den Leitzins wieder auf Null oder 1% senkt und die Kreditrenditen entsprechend zurückgehen.

Allerdings sieht Howard Marks gegenüber dem heutigen Niveau nicht viel Spielraum für Zinssenkungen. Und er glaubt auch nicht, dass die kurzfristigen Zinssätze in den kommenden Jahren so niedrig sein werden, wie in der jüngsten Vergangenheit.

Fazit

Marks betont, dass der Anstieg der Zinssätze die erste grundlegende Veränderung ist, die er im Laufe seiner Karriere öffentlich angesprochen hat. Des Weiteren handelt es sich bei seinen Aussagen um eine der wenigen Forderungen nach einer deutlichen Erhöhung der Kreditinvestitionen.

Aber die Quintessenz, auf die er immer wieder zurückkommt ist, dass Kreditinvestoren heute Renditen erzielen können, die:

  • im Vergleich zu den historischen Aktienrenditen sehr wettbewerbsfähig sind
  • die geforderten Renditen oder versicherungsmathematischen Annahmen vieler Anleger übersteigen und
  • weit weniger unsicher sind, als Aktienrenditen

Abschließend hält Howard Marks, sofern seine Logik keine ernsthaften Lücken aufweist, eine erhebliche Umschichtung von Kapital in Richtung Kredit für gerechtfertigt.

Quelle:
In Kategorie: Miscellaneous

Über den Autor

Veröffentlicht von

Guten Tag, mein Name ist Mario Wolff. Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Value Investing. Wenn Du magst, kannst Du meinem Blog auf Twitter folgen oder den Feed abonnieren.

Schreibe eine Antwort