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Die Illusion des Wissens

In seinem am 08. September veröffentlichten Memo „The Illusion of Knowledge“ spricht Howard Marks über seine Abneigung gegen Marktprognosen. Marks hat im Laufe der Jahre immer wieder seine Missachtung gegenüber Voraussagen zum Ausdruck gebracht, aber nie richtig erläutert, warum es so schwierig ist, hilfreiche Prognosen zu erstellen.

Im Mittelpunkt von Marks steht die Frage, wie gut die Modelle sind, die den meisten Prognosen zugrunde liegen?

Howard Marks Memo: Die Illusion des Wissens
Quelle: oaktreecapital.com

„Um etwas Nützliches zu produzieren, sei es in der Fertigung, im akademischen Bereich oder sogar in der Kunst, muss man über einen zuverlässigen Prozess verfügen, der in der Lage ist, die erforderlichen Inputs in den gewünschten Output umzuwandeln“, sagt Howard Marks.

Seiner Einschätzung nach besteht das Problem darin, dass es keinen Prozess geben kann, der in der Lage ist, die große Anzahl von Variablen, die mit Volkswirtschaften und Finanzmärkten (den Inputs) verbunden sind, konsequent in eine nützliche Makroprognose (den Output) umzuwandeln.

Modelle erfordern Annahmen. Marks führt in seinem Memo weiter aus, dass Annahmen durch die Unberechenbarkeit menschlichen Verhaltens jedoch schnell ihre Prognosetauglichkeit verlieren.

Als Beispiel nennt er die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten. Die USA haben rund 330 Millionen Einwohner. Bis auf die Jüngsten und vielleicht die Ältesten nehmen alle an der Wirtschaft teil. Somit gibt es Hunderte von Millionen Verbrauchern plus Millionen von Arbeitern, Produzenten und Vermittler (viele Menschen fallen in mehr als eine Kategorie).

Um den Weg der Wirtschaft vorherzusagen, muss man das Verhalten dieser Menschen vorhersagen. Wenn auch nicht für jeden Teilnehmer, dann zumindest über Gruppenaggregate.

Eine echte Simulation der US-Wirtschaft müsste nach Aussage von Howard Marks mit Milliarden von Interaktionen oder Knoten umgehen, einschließlich Interaktionen mit Lieferanten, Kunden und anderen Marktteilnehmern auf der ganzen Welt. Ist dies möglich? Ist es beispielsweise möglich vorherzusagen, wie sich die Verbraucher verhalten werden, wenn

  • sie einen zusätzlichen Dollar an Einkommen erhalten
  • die Energiepreise steigen und andere Kategorien des Haushaltsbudgets unter Druck geraten
  • der Preis, den ein Gut relativ zu anderen Gütern steigt, zu einem Substitutionseffekt führt, oder
  • das geopolitische Umfeld von Ereignissen auf anderen Kontinenten erschüttert wird

Dieser Grad an Komplexität erfordert laut Howard Marks eindeutig die häufige Verwendung vereinfachender Annahmen. Zum Beispiel würde es die Modellierung erleichtern, davon ausgehen zu können, dass Verbraucher B nicht anstelle von A kaufen, wenn B nicht entweder besser oder billiger ist (oder beides). Und es wäre hilfreich anzunehmen, dass Hersteller X nicht unter Y bepreisen, wenn es nicht weniger kostet, X als Y zu produzieren.

Aber was passiert, wenn Verbraucher trotz (oder sogar wegen) seines höheren Preises vom Prestige von B angezogen werden?  Und was, wenn X von einem Unternehmer entwickelt wurde, der bereit ist, für ein paar Jahre Geld zu verlieren, um Marktanteile zu gewinnen? Kann ein Modell die Zahlungsentscheidung des Verbrauchers und die Entscheidung des Unternehmers antizipieren, weniger Geld zu verdienen (oder sogar zu verlieren)?

Dennoch räumt Marks ein, dass die Ausgabe eines Modells unter dem Strich die meiste Zeit in die richtige Richtung zeigen kann, wenn die Annahmen nicht verletzt werden. Aber ein Modell kann nicht immer genau sein, besonders in kritischen Momenten, wie Wendepunkten. Also genau zu der Zeit, in der genaue Vorhersagen am wertvollsten wären.

Am Beispiel der Covid-19-Pandemie geht Howard Marks der Frage nach, wie ein Prognosemodell umfassend genug sein kann, um Dinge zu behandeln, die noch nie zuvor (d.h. unter vergleichbaren Umständen) gesehen wurden?

Das Ausrufen des Pandemiefalls durch die Weltgesundheitsorganisation im März 2020 führte dazu, dass ein Großteil der Weltwirtschaft lahmgelegt und das Verbraucherverhalten auf den Kopf gestellt wurde. In der Folge kam es zu noch nie dagewesenen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen.

Welcher Aspekt eines bereits bestehenden Modells wäre in der Lage gewesen, die Auswirkungen von alldem vorherzusehen?

Garbage in, Garbage out

Als nächstes betrachtet Howard Marks die Input-Variablen der Prognosemodelle. Denn keine Prognose kann besser als der Input sein, auf dem die Prognose basiert. Marks diskutiert dies an der aktuellen Inflationserwartung und stützt sich dabei auf einen Artikel des Bloomberg Kolumnisten Niall Ferguson vom 17. Juli 2022.

Ferguson überlegt in diesem Artikel was wir implizit fragen, wenn wir die Frage stellen: Hat die Inflation ihren Höhepunkt erreicht?

Wir fragen nicht nur nach Angebot und Nachfrage von 94.000 verschiedenen Waren, Erzeugnissen und Dienstleistungen. Wir fragen auch nach dem zukünftigen Zinspfad der Fed, der trotz der viel gepriesenen Politik der „Forward Guidance“ alles andere als sicher ist. Wir fragen uns, wie lange die Stärke des Dollars anhalten wird, da sie sich derzeit hält und den Preis für US-Importe senkt.

Gleichzeitig fragen wir implizit, wie lange der Krieg in der Ukraine dauern wird, da die seit Februar durch den russischen Einmarsch verursachten Störungen die Energie- und Lebensmittelpreisinflation erheblich verschärft haben. Wir fragen, ob Öl produzierende Länder wie Saudi-Arabien auf Bitten westlicher Regierungen reagieren werden, mehr Rohöl zu fördern?

Schließlich erwähnt Niall Ferguson in seinem Artikel noch mögliche Auswirkungen der neuesten Covid-Omicron Untervariante und wünscht viel Glück beim Hinzufügen all dieser Variablen zu einem Modell.

Investoren mit konträrer Vorgehensweise

Howard Marks weist in seinem Memo darauf hin, dass die Beachtung von Prognosen in der Investmentwelt weit verbreitet ist, aber einige der größten Investoren wie beispielsweise Warren Buffett davon profitiert haben, einen anderen Weg einzuschlagen.

Selbstverständlich ist es wichtig zu wissen, was makroökonomisch passieren wird. Laut Marks ist dies allerdings nicht mit einer hinreichend hohen Wahrscheinlichkeit möglich, die einen Investor in die Lage versetzt, „einen Wissensvorsprung zu erlangen und überlegene Anlageentscheidungen zu treffen“.

Aus diesem Grund argumentiert Howard Marks, dass Buffetts Name eindeutig auf der Liste der Investoren ganz oben steht, denen es gelungen ist, Makroprognosen zu meiden und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, mehr als andere über „das Mikro“ zu lernen: Unternehmen, Branchen und Wertpapiere.

Die „Ich weiß“-Schule

Am Ende seines Memos unterteilt Howard Marks die Marktteilnehmer in zwei Lager. Die „Ich weiß“-Schule und die „Ich weiß nicht“-Gruppe.

Diejenigen in der ersten Gruppe sind zuversichtlich, dass sie verstehen, was als nächstes kommt, glauben, dass sie auf der Grundlage dieses Wissens investieren können, und teilen ihre Ansichten gerne.

Im Umkehrschluss glaubt die „Ich weiß nicht“-Schule im Allgemeinen, dass man die Zukunft nicht kennen kann und auch nicht kennen muss. Denn das eigentliche Ziel ist es, in Ermangelung dieses Wissens die bestmögliche Arbeit beim Investieren zu leisten.

Schlussbemerkung

Einerseits wirkt es wie ein Widerspruch, dass Howard Marks, der in seinen Memos seit vielen Jahren regelmäßig über Prognosen von Investoren, Analysten und Ökonomen schreibt, die jeweiligen Erkenntnisse für wertlos halten würde.

Sein Punkt ist jedoch zu akzeptieren, dass die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Investoren auf der anderen Seite aber versuchen sollten zu verstehen, was passiert oder was kommt, indem Anleger eine Vielzahl von Standpunkten berücksichtigen und nicht zu viel Wert auf einen einzigen legen.

Howard Marks führt als Beispiel einen befreundeten Analysten an. Dieser hat aufgehört, Prognosen abzugeben und erzählt den Leuten stattdessen einfach, was heute los ist und was er als mögliche Auswirkungen auf die Zukunft sieht.

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In Kategorie: Miscellaneous

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Guten Tag, mein Name ist Mario Wolff. Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Value Investing. Wenn Du magst, kannst Du meinem Blog auf Twitter folgen oder den Feed abonnieren.

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