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Warum Value-Investoren anders sind

Inmitten der Dotcom-Blase im Jahr 1999 schrieb Seth Klarman einen Artikel für das Barron’s Magazin mit dem Titel „Why Value Investors Are Different“, in dem er skizzierte, was es bedeutet, ein Value-Investor zu sein. Klarman beschrieb den Kern des Value Investing am Verhalten von Warren Buffett im Bärenmarkt von 1973 bis 1974.

Typischer Value-Investor: Warren Buffett
Bildquelle: Barron’s

Der Rückgang des Aktienmarktes von Januar 1973 bis Oktober 1974 war mit einem Minus von 48,2% im Standard & Poor’s 500 der größte Einbruch seit der geldpolitischen Straffung der US-Notenbank im Jahr 1937, als der Aktienmarkt in den folgenden fünf Jahren rund 60% an Marktwert verloren hat.

Der Bärenmarkt 1973-1974 führte bei den Anlegern zu einem enormen Wertverlust. In seiner Buffett-Biographie „The Making of an American Capitalist“ beschreibt Roger Lowenstein seinen Eindruck, dass Warren Buffett zu dieser Zeit durch die Gänge eines riesigen Kaufhauses fegte, um Aktien zu kaufen. Und als der Markt weiter fiel, wurde er umso schneller.

Als der Markt weiter zurückging, wurde das, was vorher schon ein Schnäppchen war, für ihn ein noch größeres Schnäppchen. Buffett nutzte die Kaufgelegenheit und sagte, dass es für Anleger klug ist, „ängstlich zu sein, wenn andere gierig sind, und gierig, wenn andere ängstlich sind“.

Diese Aussage unterstreicht seine konträre Sichtweise auf den Aktienmarkt und bezieht sich direkt auf den Preis eines Vermögensgegenstandes. Denn wenn die anderen Anleger ängstlich sind, kann dies für Value-Investoren eine gute Gelegenheit für einen wertorientierten Kauf bedeuten.

Klarmans Erinnerung an den Bärenmarkt

Seth Klarman sagt, wenn Warren Buffett es sich während dem Bärenmarkt erlaubt hätte, sich über seine zwischenzeitlichen Verluste im Jahr 1974 Sorgen zu machen, auch er unter Umständen in Panik geraten wäre, wodurch er mehrere großartige Investitionsmöglichkeiten verpasst hätte.

Buffett tat jedoch, was alle anderen nicht taten. Er blieb standhaft. Anstatt seine Aktien zu veräußern, als der Markt weiter fiel, nutzte er die Krise und kaufte mehr Aktien. Er blieb optimistisch, dass sich der Markt im Laufe der Zeit erholen würde.

Die meisten Anleger wollen schnell Geld verdienen. Viele Anleger denken, dass eine stagnierende oder negative Performance über einen Zeitraum von einem Jahr einen Misserfolg bedeutet. Aber als Warren Buffett im Jahr 1973 begann die Washington Post zu kaufen, wollte er keinen sofortigen finanziellen Gewinn erzielen.

Trotz der Unsicherheit durch den Börsencrash machte er sich keine Gedanken über die kurzfristig orientierten Risiken seiner Anlage. Klarman schrieb:

Es ist hilfreich anzumerken, dass Buffett nicht bedacht hat, ob die Washington Post Bestandteil eines Aktienmarktindex ist oder kurz davor steht, in einen aufgenommen zu werden. Er hat die Marktkapitalisierung des Unternehmens oder sein tägliches Handelsvolumen bei seiner Kaufentscheidung nicht abgewogen. Er machte sich keine Gedanken darüber, ob die Aktie gesplittet wird, eine Dividende zahlen oder auslassen würde. Er hat mit Sicherheit nicht das Beta der Aktie bewertet, das Capital-Asset-Pricing-Modell verwendet oder darüber nachgedacht, ob sein Kauf sein Portfolio an die Effizienzgrenze bringen würde. Er schätzte einfach das Geschäft und kaufte einen Teil davon mit einem beträchtlichen Rabatt.

Value-Investoren sollten immer nach deutlich verbilligten Aktien von qualitativ hochwertigen Unternehmen Ausschau halten und sich keine Sorgen darüber machen, wo der Aktienkurs des Unternehmens heute steht. Denn der Markt wird irgendwann kommen und die Aktien richtig bewerten. Darum geht es im Value Investing.

Die Geschichte wiederholt sich nicht ganz

Mark Twain hat einmal geschrieben, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, aber sich reimt. Eine wertvolle Lektion, die Seth Klarman Value-Investoren in seinem Artikel vermittelt, ist, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Zitat Klarman:

Geschichte wiederholt sich nie genau. So verkaufen 1998 Anleger, die dringend nach Liquidität suchen, nicht die Washington Post, sondern Small-Cap- und Schwellenmarktaktien.

Wenn Anleger eine Entscheidung auf ein historisches Ereignis stützen, ist ihnen nicht dasselbe Ergebnis garantiert, aber indem sie dieselben Prinzipien anwenden, die sie aus diesen historischen Ereignissen gelernt haben, können sie erfolgreich durch neue Situationen navigieren.

Klarman nimmt die Dotcom-Blase als Beispiel. Die Anleger waren damals süchtig nach Dotcom-Unternehmen und entwickelten eine unrealistische Erwartungshaltung in Bezug auf ihre Aktienkurse.

Die Geschichte hat allerdings gezeigt, dass nur sehr wenige Dotcoms erfolgreich waren. Da die Bewertungen auf bloßer Phantasie anstatt auf quantitativen Daten beruhten, schossen die Aktienkurse der Dotcom-Unternehmen in die Höhe. Klarman schrieb:

Stellen Sie sich die Internet-Aktienmanie vor, bei der das bloße Gerücht eines Aktiensplits, so irrelevant es für den Wert auch sein könnte, nicht nur diese Aktie in die Höhe treibt, sondern eine ganze Gruppe von Aktien in der Gunst der Anleger steigen lässt.

Die Geschichte sagt uns, dass ein Aktiensplit ziemlich bedeutungslos ist, aber das hat die Anleger nicht davon abgehalten, irrational zu handeln.

Noch im vergangenen Jahr stiegen die sogenannten FAAMGs (Facebook, Amazon, Apple, Microsoft und Google) sowie andere Technologie- und Wachstumsaktien dramatisch und trieben den Markt nach oben. Dagegen wurden Aktien im Rest der Welt sowie klein- und mittelhoch kapitalisierte Unternehmen ignoriert.

Seit Jahresbeginn hat sich das Blatt gewendet. Denn bei den Gewinneraktien der vergangenen Jahre bestand nur noch eine geringe beziehungsweise gar keine Sicherheitsmarge mehr. In Anlehnung an das Buffett-Zitat „Price is what you pay. Value is what you get“ erinnern sich Value-Investoren stets daran, dass sich der gezahlte Preis vom tatsächlichen Wert einer Anlage unterscheidet.

Notwendige Arroganz von Value-Investoren

Value-Investoren vertrauen auf ihre eigenen Fähigkeiten, was von anderen Menschen oftmals als Arroganz empfunden werden kann. Aber ist Arroganz beim Investieren wirklich notwendig? Seth Klarman glaubt, dass ein Investor ein gewisses Maß an Arroganz braucht, um erfolgreich zu sein. Zitat Seth Klarman:

Daher muss ein Investor mehr Vertrauen in seine eigene Meinung haben, als in das kombinierte Gewicht aller anderen Meinungen. Das grenzt an Arroganz, die nötige Arroganz, die es braucht, um Anlageentscheidungen zu treffen.

Wenn die Aktienkurse fallen, geraten die meisten Anleger in Panik, weil sie denken, dass sie eine schlechte Investition getätigt haben. In ihrer Panik beginnen sie dann, Aktien ungeachtet der Verluste zu verkaufen. Value-Investoren haben keine Angst, gegen den Strom zu schwimmen, wenn sie wissen, dass sie Recht haben. Dies ist das entscheidende Merkmal im Value Investing.

Ein Value-Investor ist aufgrund seiner Einschätzung über den Inneren Wert eines Unternehmens zuversichtlich, dass sich die Aktie wieder erholen wird. Anstatt der allgemein vorherrschenden Stimmung am Aktienmarkt zu folgen, nimmt er seine eigene Einschätzung vor und geht – wie Warren Buffett im Bärenmarkt 1973-1974 – davon aus, dass der Markt falsch liegt.

Seth Klarman greift in seinem Artikel das Zitat von Benjamin Graham „Kurzfristig ist der Markt eine Abstimmungsmaschine, aber langfristig ist er eine Waage“ auf, um den Unterschied zwischen einer kurzfristig angelegten Spekulation und dem langfristigen Investieren zu illustrieren.

Kurzfristig orientierte Anleger treffen normalerweise impulsive Entscheidungen. Sie tun das, was alle anderen tun und gehen dorthin, wo alle anderen hingehen. Value-Investoren hingegen treffen Entscheidungen auf der Grundlage einer starken fundamentalen Kenntnis des Unternehmens. Sie studieren das Geschäft und behalten immer die ferne Zukunft im Auge.

Die verlorene Kunst des konträren Denkens

Klarman bestätigt Value-Investoren in der Kunst des gegensätzlichen Denkens und nimmt ihnen die Angst, anders zu sein. Anleger müssen ihren eigenen Fähigkeiten vertrauen, sich an dem orientieren, was sie wissen und in ihrem persönlichen Kompetenzbereich investieren.

Die Anlagewelt scheint heute auf dem Kopf zu stehen. Was als riskant gilt, ist mit ziemlicher Sicherheit viel sicherer als das, was als grundsolide angesehen wird.

Das Vorwort zu Benjamin Grahams Buch „Security Analysis“ (deutsch: Wertpapieranalyse) enthält ein Zitat aus Horaz‘ Ars Poetica: „Viele werden auferstehen, die jetzt gefallen sind, und viele werden fallen, die jetzt in Ansehen stehen.“ Seth Klarman ergänzt, dass lediglich nicht gesagt wird, wann.

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In Kategorie: Miscellaneous

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Veröffentlicht von

Guten Tag, mein Name ist Mario Wolff. Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Value Investing. Wenn Du magst, kannst Du meinem Blog auf Twitter folgen oder den Feed abonnieren.

2 Kommentare

  1. Bernd

    Hallo Mario,
    ein klasse Artikel, der mich beim Lesen auch gleich hat 1-2 cm wachsen lassen.
    Ich lese nahezu jeden deiner Artikel und finde diese auch sehr motivierend, z:b. hinsichtlich des Durchhaltens und kontinuierlichen Investierens in Bärenmärkten.
    Unaufgeregte Artikel sind selten geworden. Bitte weiter so!

    Grüße
    Bernd

  2. Hallo Bernd,

    vielen Dank für Dein Lob!

    Mit dem Platzen der Dotcom-Blase und der Finanzkrise habe ich bereits zwei Bärenmärkte hinter mir. Dazu der Crash im März 2020.

    So ein Blog ist eine tolle Sache, sich selbst und die eigene Positionierung im aktuellen Marktumfeld zu reflektieren. Insofern möchte ich zu dem Thema noch etwas von Ken Fisher machen, der Korrekturphasen und Bärenmärkte intensiv untersucht hat.

    Schöne Grüße
    Mario

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